Die Stadtentwicklung in Berlin steckt in der größten Krise seit dem Fall der Mauer. Noch nie waren in den vergangenen 25 Jahren die Wohnungen so knapp und die Mieten so hoch – und noch nie reagierte ein Senat so langsam und so kraftlos auf den Mangel an Wohnraum und die Not der Mieter, die sich seit Jahren verschärfen. Weil weiterhin weniger Wohnungen entstehen als die neuen Haushalte, um die Berlin wächst, verschärft sich die Lage.
Wie berichtet ist der Neubau von Wohnungen durch die landeseigenen Unternehmen im vergangenen Jahr sprunghaft gesunken, um ein Viertel. Auch die Gesamtzahl aller neu genehmigten Wohnungen in Berlin ging nach Angaben des Amtes für Statistik im vergangenen Jahr zurück. Ein genauerer Blick auf die Entwicklungen hinter diesen Zahlen zeigt die vielen Facetten der Krise.
Abwärts immer – Aufwärts nimmer
Die Pläne für 24.743 neue Wohnungen genehmigten Berliner Bauämter im vergangenen Jahr. „Klitzeklein“ sei der Rückgang, 1,2 Prozent, ist in der Debatte über die Krise von Berlins Stadtentwicklung zu hören. Richtig wäre das nur, wenn der Markt im Gleichgewicht wäre, wo aber Mangel an Wohnraum herrscht, ist die Aussage zynisch. Denn gemessen an der stark steigenden Zahl der Haushalte, schrumpft der Wohnungsbestand ohnehin. Es müssten mehr Wohnungen genehmigt werden und nicht weniger. Sonst verschärft sich der Verteilungskampf.
Kein Platz nirgends für die, die kommen
Um 60.000 Menschen wuchs Berlins Bevölkerung im Jahr 2016, um mehr als 50.000 im vergangenen Jahr. Der Wohnungsbestand in der Stadt stieg im Jahr 2016 aber nur um knapp 14.000 Wohnungen. Rein rechnerisch wurden also allein im Jahr 2016 knapp 30.000 Wohnungen zu wenig gebaut, gemessen an der durchschnittlichen Haushaltsgröße der Stadt (1,7). Auch im vergangenen Jahr wurden viel zu wenig Wohnungen gebaut. Wie weit die Lücke dieses Mal aufklafft, wird die Veröffentlichung der Neubauzahlen in einigen Wochen zeigen. Sicher ist: Entspannung Fehlanzeige, die Not wächst. Ähnliches ist auch mittlerweile in Dresden festzustellen.
Adieu, Sozialer Wohnungsbau
Jeder zweite Berliner verdient so wenig, dass er Anspruch auf eine geförderte Sozialwohnung hätte. Nur: Davon gibt es erstens zu wenig und zweitens immer weniger. Zwar investiert der Senat wieder massiv in den Neubau von Sozialwohnungen. Doch das reicht bis auf Weiteres nicht aus, um die aus der Mietpreisbindung herausfallenden Sozialwohnungen auszugleichen: rund 107.000 Sozialwohnungen gibt es in diesem Jahr, und es werden jährlich weniger.
Dies geht aus einem internen Bericht des Senats hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt. Der Neubau hilft wenig. Dabei meldet Berlins Förderbank IBB, sie habe mehr als 3000 Sozialwohnungen 2017 bewilligt. Trotzdem wird es bis zum Jahr 2020 dauern, bis es in Berlin wieder mehr Sozialwohnungen gibt als heute – falls alle geplanten sozialen Neubauten wirklich vollständig und rechtzeitig fertig werden.
Wachstum ohne Ende: die Mieten
Weil alle ein Iphone wollen, stehen sie Schlange vor dem Apple-Store und greifen jedes Jahr tiefer in die Tasche für das begehrte Gut. Genauso verhält es sich mit den Wohnungen in Berlin und deshalb steigen die Mieten in der Stadt. 8,8 Prozent mehr Miete im vergangenen Jahr für eine freie Wohnung, im Durchschnitt aller Lagen – vier mal schneller als die Haushaltseinkommen steigen die Mieten in der Stadt. Wohnungen sind Luxusgüter. Glücklich ist, wer eine hat, teuer kommt es für den, der eine braucht. Und wie geht es weiter? In der aktuellen Ausgabe eines der wichtigsten Berliner Marktberichte (BerlinHyp/CBRE) heißt es: „Kein Ende der steigenden Miet- und Kaufpreise in Berlin“.
Arbeiten, um wohnen zu dürfen
Immer mehr vom Einkommen zahlt, wer in Berlin wohnen will: Jeden zweiten Euro des verfügbaren Einkommens (nach Steuern) zahlen Berliner an ihre Vermieter, wenn sie etwa in der Chausseestraße in Mitte wohnen wollen. Statistisch, versteht sich, das heißt: zugrunde gelegt ist die Angebotsmiete für eine Wohnung in dieser Lage im Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen des Berliners, der daselbst lebt. Über ganz Berlin betrachtet beträgt diese „Wohnkostenquote“ 29 Prozent – mehr als ein Viertel des Einkommens. Und die Wohnkostenquote steigt – die Krise in der Stadtentwicklung geht den Berlinern ins Geld. Mittlerweile ist eine ähnliche Entwicklung in Dresden festzustellen.
Bloß weg hier – kauf Dir was!
Die Berliner haben das Ausmaß der Krise erkannt. Wer es sich leisten kann, flüchtet ins Eigentum. Anders als die öffentlichen Bauherren, schaffen „private Haushalte“ mehr neue Wohnungen als zuvor: 2253 Berliner waren es im vergangenen Jahr, 400 mehr als ein Jahr zuvor. Bau- und Wohnungspreise in Berlin sind zwar hoch. Noch sind die Bauzinsen aber niedrig. Wenn die Kreditkosten für den Neubau in etwa so teuer kommen wie die Angebotsmieten in der Umgebung, muss das kein Fehler sein. Denn mit sinkenden Mieten in der Stadt rechnet niemand wirklich. Der Mehrheit der Berliner hilft das nicht: Sie verdienen nicht genug, um eine eigene Wohnung zu kaufen.
Alles schon dagewesen?
War die Krise der Stadtentwicklung nach dem Fall der Mauer nicht viel größer? Nein, denn Berlins Bevölkerung wuchs damals nur kurze Zeit und schrumpfte bald wieder. Aber vielleicht wiederholt sich Geschichte ja doch.
Quelle: Tagesspiegel
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